Lehrforschungsprojekt "Soziale Arbeit in Zeiten der sozialökologischen Krise"

INFO

Der öffentliche Diskurs zum Klimawandel wird zurzeit in erster Linie bestimmt von der Suche nach den effizientesten Maßnahmen zur Eindämmung der Entwicklung, seien sie regulatorischer oder technischer Art. Doch schon heute wird deutlich, dass der Wandel bereits eingesetzt hat und nur in einem gewissen Umfang aufzuhalten ist. Das wird national wie international Verwerfungen mit sich bringen, darunter Flucht und Migration, die auch die Soziale Arbeit vor neue Herausforderungen stellen könnte. In einem Lehrforschungsseminar von Prof. Dr. Sebastian Bamberg haben die HSBI-Studierenden Chris Lemkemeier und Veit Osthoff eine Untersuchung durchgeführt, die die Relevanz des Themas für die künftige Lehre am Fachbereich Sozialwesen unterstreicht.

Das Seminar. Im WS 2023/24 fand unter dem Titel „Soziale Arbeit in Zeiten der sozial-ökologischen Krise“ erstmals ein Lehrforschungsseminar statt, in dem Studierende über die Frage reflektierten, welche Implikationen die sich beschleunigende sozial-ökologische Krise für das Selbstverständnis und die Praxis der Sozialen Arbeit hat. Neben der Klärung, worin eigentlich die sozial-ökologische Krise besteht, wurde besonders die internationale Debatte um das Konzept „Environmental Justice“ als zentraler theoretischer Bezugspunkt einer „green“ oder „environmental social work“ diskutiert. Praktische Konsequenzen einer Orientierung am Konzept Umweltgerechtigkeit wären z.B. die Etablierung neuer Praxisfelder wie Prävention und Intervention im Fall von klimawandelbedingten Naturkatastrophen oder die Arbeit mit Klimaflüchtlingen. Inspirierend war auch die Diskussion von Papieren australischer und US-amerikanischer Autorinnen und Autoren, die sich mit dem Verhältnis von Sozialer Arbeit und sozialen Bewegungen wie FFF und Last Generation beschäftigen. Diese Artikel fordern ein Wiederanknüpfen an die Tradition einer aktivistischen Sozialen Arbeit aus den 1970er Jahren. Am Ende des Seminars wurde noch die Auswirkungen angedacht, die eine Transformation unserer gegenwärtig stark wachstumsbasierten Wirtschaft hin zu einer Degrowth-Wirtschaft für die Rolle und Finanzierung der Sozialen Arbeit haben könnte.Formularbeginn

Befragung zur sozial-ökölogischen Krise und Sozialer Arbeit

 In diese theoretischen Diskussionen eingebettet war ein von Studierenden selbstständig konzipiertes und durchgeführtes empirisches Forschungsprojekt zur Frage, wie relevant die Studierenden des Fachbereichs Soziale Arbeit der HSBI das Thema sozial-ökologische Krise für ihre Ausbildung und Praxis einschätzen. Der entwickelte Fragebogen1 umfasst demografische und politische Fragen sowie eine umfassende Erfassung der Wahrnehmung der sozial-ökologischen Krise. Die Themen umfassen gesellschaftliche Probleme, persönliche Auswirkungen, Maßnahmen und die Bedeutung für die Soziale Arbeit, wobei die Relevanz des Umweltthemas, individuelle Einstellungen und die Verbindung zwischen Sozialer Arbeit und Umweltzerstörung im Fokus stehen. Dazu hat der Kurs einen entsprechenden elektronischen Fragebogen entwickelt. Über f-board, in privaten Netzwerken sowie in Lehrveranstaltungen wurden Studierende gebeten, sich durch Anklicken eines Links an der Befragung zu beteiligen. Die Befragung erfolgte anonym und dauerte etwa 7 Minuten.

Eine Stichprobe mit aus 146 teilnehmenden Studierenden

Insgesamt haben sich 146 Studierende des Fachbereichs an der Befragung beteiligt (76% BA, 4,8% MA, 15,3% BPJ, 3,4% keine Angabe). Von den teilnehmenden Studierenden definierten sich 71,2% als weiblich, 22,6% als männlich, 0,7% als divers und 5,5% machten keine Angabe. Ferner gaben 45,2% an, bis 25 Jahre alt zu sein, während 51,4% angaben, älter als 25 Jahre zu sein. Obwohl die Stichprobenzusammensetzung bezüglich ihrer sozio-demographischen Merkmale typisch für den Fachbereich zu sein scheint, ist davon auszugehen, dass es sich nicht um eine repräsentative Stichprobe handelt. Vermutlich haben sich eher Studierende beteiligt, die am Thema sozial-ökologische Krise interessiert sind.

Ergebnisse zeigen große Bedeutung des Themas für die Soziale Arbeit

Im Folgenden stellen wir einige ausgewählte Befragungsergebnisse vor. So gaben auf die Frage, ob sie sich ausreichend über die wichtigsten Aspekte der sozial-ökologischen Krise informiert fühlen (5-stufige Likert-Skala von 1 = trifft völlig zu bis 5 = trifft gar nicht zu), 33,6% aller teilnehmenden Studierenden an, dass dies eher zutrifft, während 22,2% dies als eher unzutreffend einschätzen. Auf die Frage, ob sie sich über die Auswirkungen der sozial-ökologischen Krise auf unsere Gesellschaft sorgen (1 = nicht besorgt bis 5 = enorm besorgt), gaben 77% an, besorgt zu sein, während sich 7% eher nicht sorgen. Auf die Frage, ob das Themenfeld Umweltzerstörung für die Soziale Arbeit wichtig ist (1 = sehr wichtig bis 5 = völlig unwichtig), geben 71% an, dass das Thema sozial-ökologische Krise für die Soziale Arbeit sehr wichtig bzw. wichtig ist. Nur 11% halten das Thema für unwichtig bzw. völlig unwichtig. Die Frage, ob sie das Gefühl haben, im Studium über Aspekte der sozial-ökologischen Krise informiert zu werden (1 = sehr gut bis 5 = überhaupt nicht), beantworteten 13% mit sehr gut/gut, während 64% nicht bzw. überhaupt nicht informiert worden zu sein. Abbildung 1 stellt dar, welche Aspekte der sozial-ökologischen Krise die Studierenden als besonders relevant für die soziale Arbeit einschätzen.

Prävention und Intervention bei klimabedingten Naturkatastrophen

Fazit und Ausblick. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass über 70% der Studierenden, die an unserer Befragung teilgenommen haben, sich über die gesellschaftlichen Konsequenzen der sozial-ökologischen Krise sorgen und deshalb diese Krise auch als für die Soziale Arbeit sehr relevant einschätzen. Studierende empfinden, dass sie bisher im Studium nicht ausreichend über die Auswirkungen der sozial-ökologischen Krise auf die Rolle und Aufgaben der Sozialen Arbeit informiert wurden. Dies, obwohl die Anzahl der Studierenden, die sich allgemein mit der sozial-ökologischen Krise auseinandersetzen, recht ausgeglichen ist. Daher besteht hier möglicherweise Handlungsbedarf. In klimawandelbedingter Flucht sowie der Prävention von und Intervention bei klimawandelbedingten Naturkatastrophen sehen sie für die Soziale Arbeit besonders relevante neue Arbeitsfelder. Ferner bekundet eine relativ große Gruppe Interesse an nachhaltigkeitsbezogenen P2-Praktika. Im SS 2024 wird das Seminar wieder stattfinden, diesmal mit einem Schwerpunkt auf der Beziehung von Sozialer Arbeit und Umweltbewegung.

 1 Der Fragebogen sowie die Daten können bei Prof. Sebastian Bamberg (sebastian.bamberg@hsbi.de) angefragt werden

 

 

Zustimmung (in Prozent) zur Frage „Welche der folgenden Themen halten Sie für besonders relevant für die Soziale Arbeit? (Mehrfachantworten möglich)“. Bezogen auf die Frage, ob sie sich im Rahmen ihres P2-Praktikums vorstellen können, ein Projekt zum Thema Nachhaltigkeit durchzuführen, antworten 19% mit „Ja, auf jeden Fall“, 39% mit „Ja, vielleicht“, 33% mit „Nein, eher nicht“ und nur 3% mit „Nein, auf keinen Fall“.